Von Michael Mandelartz
Erschienen im Juni 2011 bei Erich Schmidt, Berlin. 465 S., EUR 49,80. ISBN: 978-3-503-12271-4. Auch als eBook erhältlich.
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Abstract
Die Literatur um 1800 nimmt teil an dem historischen Wandel zur Moderne, der sich in der
Sattelzeitvom ausgehenden 18. Jahrhundert bis ins beginnende 19. Jahrhundert vollzieht. Goethe und Kleist legen die Probleme der Zeit als radikale Denker bis zu den Wurzeln bloß. Die Ergebnisse könnten jedoch kaum gegensätzlicher ausfallen.Kleist schließt mit J. G. Fichte an die neuzeitliche Subjektphilosophie an, die die Welt der Vernunft unterwerfen will. Die Aporien, die sich aus der Entgegensetzung von apriorischer Vernunft und empirischer Welt, von Moral und Physik ergeben, führen nicht nur Kleist selbst in die sog.
Kantkrise, sondern zerreißen auch seine Protagonisten und die Ordnungen, in die sie gestellt sind.Goethe emanzipiert sich dagegen schon zur Zeit des Werther von den neuzeitlichen Subjektphilosophien. An ihre Stelle tritt die Auffassung des Subjekts als Produkt der Natur und der historischen Entwicklung. Goethe bestimmt es, im Gegensatz zur philosophischen Tradition der Neuzeit, als weltimmanent und empirisch.
In engem Bezug auf die zeitgenössischen Quellentexte wird der Gegensatz zwischen dem radikalisierten subjektphilosophischen
MainstreamKleists und Goethes ebenso radikal empirischerPhilosophiean ausgewählten Werken entwickelt. Zur Sprache kommen die Kleist'schen Werke Über das Marionettentheater, Der zerbrochne Krug, Michael Kohlhaas, Penthesilea und Der Findling wie auch Goethes Harzreise im Winter, Iphigenie, Die Wahlverwandtschaften, Pandora und Novelle.
Rezensionen
- Nikolas Immer in: Informationsmittel (IFB). Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft, Jg. 19 (2011), H. 4
[...] Auf die Vielzahl an überzeugenden Deutungsangeboten, die Mandelartz präsentiert, kann im folgenden nur exemplarisch eingegangen werden. [...] In seiner Analyse des Kohlhaas veranschaulicht Mandelartz exemplarisch, wie ergebnisfördernd eine genaue Kenntnis kulturhistorischer Hintergründe für die Textdeutung sein kann. [...] Als ungemein ergiebig erweist sich schließlich die Hypothese, den Protagonisten der Erzählung [Michael Kohlhaas] versuchsweise als einen Zigeuner zu identifizieren. [...] Mit seinen facettenreichen Untersuchungen ausgewählter Werke von Novalis, Kleist und Goethe entwirft Mandelartz ein eindrucksvolles Panorama der Verflechtungen, die zwischen der Literatur um 1800 und den zeitgenössischen Wissensdiskursen auszumachen sind. [...] Hervorzuheben bleibt jedoch die besondere Qualität der hermeneutisch fundierten Interpretationen, die als große Bereicherung für die Kleist- und Goethe-Forschung zu werten sind.
- Ervin Malakaj in: Focus on German Studies 19 (2012), S. 240-241 — Blättern Sie bis zu S. 240.
[...] This monograph's individual chapters are meticulously researched and present very convincing and unique investigations of some of the most canonical texts of German literary history [...]. The chapter on Goethe's Die Farbenlehre exemplifies Mandelartz' careful weaving through the current, yet sparse, scholarship on the subject, while simultaneously elaborating on the reception history of Goethe's contribution to natural science. [...] the work that went into this monograph is remarkable; Mandelartz' research is a valuable addition not only to Goethe and Kleist scholarship, but to the scholarship of Weimar Classicism overall.
- Ingo Breuer in: Goethe-Jahrbuch 129 (2012), S. 270-272 (Verriß). — Meine Replik und Breuers Duplik in: Kleist-Jahrbuch 2015, S. 226-230 bzw. 231-234
- Kai Köhler in: Zeitschrift für Germanistik. NF 23 (2013), H. 1, S. 162-164
[...] Die beeindruckende Fülle naturwissenschaftlicher, philosophischer, juristischer und politischer Schriften, die Mandelartz aufgearbeitet hat, dient nicht dem Zweck, den Werken Kleists und Goethes ihren Platz in einem historischen Diskurs anzuweisen, sondern, im Gegenteil, deren Besonderheit zu erkennen. [...] Unter den Kleist-Aufsätzen ist insbesondere der zur Kant-Krise beachtenswert, da er sie genauer als Fichte-Krise bestimmt. [...] Von großer Überzeugungskraft sind auch die Fichte-Bezüge, die in Kleists Schrift Über das Marionettentheater und in den Geschlechterbildern der Penthesilea herausgearbeitet werden. [...] Welche Gefahren Goethe in der Verabsolutierung des Subjekts sieht, zeigt Mandelartz in detaillierten Lektüren der Topographien in den Wahlverwandtschaften und der Novelle. Gleichzeitig wird deutlich, dass es keineswegs um eine regressive Abschaffung des Subjekts geht, sondern um eine bessere Grundlegung. [...] Sieht man indessen von dieser grundsätzlichen Problematik [des Subjekts] ab, so findet man im vorliegenden Band zahlreiche überzeugende interpretatorische Einsichten auch zu bereits häufig interpretierten Werken und eine Fülle kulturhistorischer Angaben, die es erlauben, die Werke zu kontextualisieren.
- Thomas Schwarz in: Komparatistik. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft 25 (2013), S. 181-183
[...] Die Stärke der detaillierten Lektüren von Mandelartz liegt darin, eine solche Rezeptionslinie [von Fichte her] anzudeuten, ohne Kleists literarische Produktion preiszugeben, indem er sie in ihr aufgehen ließe. [...]
- Yuho Hisayama in: Neue Beiträge zur Germanistik. Internationale Ausgabe von Doitsu Bungaku 13 (2014), H. 1, S. 297-301
[...] Als Anlass für die intensive Beschäftigung mit Goethe wird von Mandelartz immer wieder dessen Bedeutung für die heutige Zivilisation genannt. Goethes
als weltimmanent und empirisch
(S. 10) bestimmtes Subjektbild wird im Verlauf der einzelnen Untersuchungen schließlich mit einer Kritik an den aktuellen Problemen der (post-)modernen Zeit verbunden, so wenn z. B. im Kontext der Interpretation der Spätwerke Goethes[d]ie gegenwärtige Krise der Industriegesellschaften, für die stichwortartig das Umweltproblem, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und der Krieg mit anderen Kulturen genannt seien
, zur Sprache kommt (S. 295). Darüber hinaus geht es dem Verfasser auch um dieVerstärkung
der Geistes- und Kulturwissenschaften gegenüber den Natur- und Technikwissenschaften, wie er es als Anliegen in Bezug auf Goethes Die Farbenlehre deutlich und durchaus provokativ formuliert [...]. - Gabrielle Bersier in: Goethe Yearbook 22 (2015), S. 286-287
[...] Framed as a response to postmodern subject theory, the author intends to show a conceptual unity between Goethe's literary and scientific production. Such a unity is most clearly demonstrated in the author's juxtaposition of Goethe's geological fragments Granit I/II and his interpretation of Harzreise im Winter, Pandora, and Novelle, where, in contrast to Kant's theory of the sublime as a strengthening of the self, mountaintop experiences lead to either the dissolution, the symbolic surrender, or the Steigerung of the self into nature. While only marginally related to the central thesis of the volume, Mandelartz's chapter on the scientific methodology of Goethe's color theory and his essay on architecture as art in Die Wahlverwandtschaften stand out as original additions to the voluminous scholarship on these works.
The Kleist essays trace how the reception of his works was influenced by Fichte's transcendental and moral philosophy [...]. These essays redefine Kleist's famous Kant-Krise as a Fichte crisis, concluding:
Ohne Übertreibung läßt sich wohl sagen, daß die Bedeutung Fichtes für Kleist derjenigen Kants für Schiller gleichkommt
(75). Such a general assessment is best circumstantiated by the interpretation of Marionettentheater [...].The Michael Kohlhaas chapter, the longest and most sophisticated piece of scholarship of the volume, integrates a thorough investigation of the historical, legal, and critical literature, including Fichte's Naturrecht, into an in-depth interpretation of the novella that accomplishes the author's objective,
durch geduldige Rekontextualisierung der Prätexte einen möglichst klaren begrifflichen Zusammenhang zwischen Prä- und Posttext zu eruieren,
(81) in exemplary fashion. Whereas Mandelartz's discussion of contemporary legal philosophy foregrounds the role of the federalist legal structure of the Old Reich for the understanding of the protagonist's paradoxical actions, his textual hypothesis of Michael Kohlhaas's previous ethnic identity as a gypsy is convincingly buttressed by legal, biographical, and textual findings and adds an interesting dimension to his interpretation. [...]Despite its shortcomings, Michael Mandelartz's book is stimulating in its prolific erudition and revealing in its multiple connections and therefore deserves a place in any scholar's or student's library of the period.
Kurzrezensionen
- Waltraud Maierhofer in: Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen 52 (2011), H. 3-4, S. 762
- Ernst Peter Fischer in: Naturwissenschaftliche Rundschau 65 (2012), H. 7
- Tilman Brand in: Deutschmagazin (2011), H. 4, S. 31
- Anonymus in: Études Germaniques 67 (2012), H. 1, S. 223 f.
- J. Doborosky auf: Amazon.de (24. Nov. 2011)
Inhaltsverzeichnis und Auszüge
- Einleitung, 9
- Novalis
- Die Herrschaft der Poesie. Chemie, Physik und Politik in Klingsohrs Märchen, 23
- Kleist
- Von der Tugendlehre zur Lasterschule. Die sogenannte
Kantkrise
und Fichtes Wissenschaftslehre, 53 - Der Zirkel der Geschichte und das
Zergehen in das Absolute
. Kleists Marionettentheater und Fichtes Vorträge im Winter 1804, 76 - Die korrupte Gesellschaft. Geschichte und Ökonomie in Kleists Zerbrochnem Krug, 101
... dass das Volk zum Wollen der Freiheit und zur Einsicht in seine Rechte noch nicht erwacht sey
. Kleists Kohlhaas und Fichtes Recht der Rebellion, 128- Gegensätzisches Theater. Geschlechtertheorien im 18. Jahrhundert und Kleists Penthesilea, 169
- Recht, Ökonomie und Mechanik in Kleists Findling, 196
- Von der Tugendlehre zur Lasterschule. Die sogenannte
- Goethe
- Empirische Entelechie. Zur Entstehung der autobiographischen Form von Dichtung und Wahrheit aus der Geschichte der Subjektivität, 221
- Goethe, Newton und die Wissenschaftstheorie. Zur Wissenschaftskritik und Methodologie der Farbenlehre, 240
- Vorblick 1: Der
Bezug auf sich selbst
. Zum systematischen Zusammenhang von Literatur und Wissenschaft bei Goethe, 282 - Vorblick 2: Vom falschen Umgang mit der Natur. Zu den Abweichungen vom geologischen Idealtypus in Goethes Spätwerk, 295
- Harzreise im Winter. Goethes Antwort auf Petrarca und die Naturgeschichte der Kultur, 306
- Die
reine Seele
und die Politik. Partikularität und Universalität in Goethes Iphigenie, 324 - Bauen, Erhalten, Zerstören, Versiegeln. Architektur als Kunst in Goethes Wahlverwandtschaften, 353
- Jenseits und Diesseits der Polarität. Pandora von Goethe und Peter Hacks, 373
- Postscriptum vom Ende der Geschichte. Noch einmal zu Peter Hacks' Pandora, 393
- Vom Gestein zur Poesie. Zum Verfahren der Steigerung in Goethes Novelle, 400
- Anhang
- Literaturverzeichnis, 433
- Abbildungsnachweise, 462
- Drucknachweise, 464
<http://www.isc.meiji.ac.jp/~mmandel/goethe_kleist_inh.html>